Die unsichere Kugel

ProA? Kennt er! Aufsteigen? Kann er! Label sind für den neuen Trainer der Rheinstars Köln schnell gefunden. Aber wie sieht der Coach selbst das äußerst ambitionierte Projekt? Denis Wucherer über Feuerwehrmänner, ein Rhein-Derby vor 18.000 Zuschauern und seine Rolle als alleinerziehender Vater.


Die Entscheidung, den Vertrag in Gießen nicht zu verlängern war ein Prozess. Nach dem Aufstieg galt dann: im ersten Jahr überleben und im zweiten Jahr etablieren. Und das ist uns auch sehr gut gelungen. Eigentlich haben wir da jeweils fast ein Bisschen überperformt und an den Playoffs gekratzt. Dann fangen natürlich die Gespräche an, inwieweit man – jetzt wo das Ziel erreicht ist – über das hinaus zusammenarbeiten kann. Im Laufe der Gespräche kristallisiert sich dann eben heraus, wie lange das noch Sinn macht oder eben nicht. Wenn man zwei Jahre in Folge das kleinste Spieler-Budget der gesamten Liga hat, dann ist das ein interessantes Arbeiten, eine großartige Herausforderung aber am Ende des Tages ist es auch ein Stück weit mühsam. Ich hätte das sehr gerne noch für ein Jahr gemacht! Aber ich habe einfach nicht gefühlt, gespürt und gesehen, mich auf zwei Jahre festzulegen. Das war jedoch der ausdrückliche Wunsch des Vereins und das ist auch sein gutes Recht! Ich hatte vier tolle Jahre in Gießen, in denen ich sehr viel gelernt habe und für die ich sehr dankbar bin! Innerhalb der Gespräche hat sich ein Bauchgefühl entwickelt, dass sich der Kreis mit dem Erreichen der Ziele geschlossen hat und man es entsprechend dabei belässt.

Vier großartige Jahre in Gießen, für die ich sehr dankbar bin!

Meine beiden Jungs, die jetzt seit anderthalb Jahren bei mir leben, sind immer ein großer Faktor, bei jeder Entscheidung! Wir hätten auch sehr gerne noch ein Jahr in Gießen gemacht, die Jungs fühlen sich sehr wohl hier. Sie sind angekommen in Schule, Fußball- und Basketballverein. Über die Kinder lernst du als Vater dann auch interessante Menschen kennen, die du vorher, in deiner Parallelwelt ‚Basketballtrainer‘, nicht kennenlernst und die das Leben hier deutlich angenehmer machen. Und Gießen ist mir, eben aufgrund dieser Situation, über die Kinder und über die Menschen, mit denen man ein soziales Netzwerk aufbaut, sehr ans Herz gewachsen. Diese Chancen hat man in den wenigsten Fällen und wir hatten das. Ein Jahr hätten wir, wie gesagt, noch sehr gerne gemacht aber das zweite Jahr wäre dann eben auch einfach ein Jahr zu viel gewesen.

Ich bin ein ambitionierter Typ und ein ambitionierter Trainer und möchte nicht jedes Jahr mit dem Ziel in die Saison starten, die Liga zu halten. Ich möchte natürlich auch irgendwann einmal eine Mannschaft coachen, die realistische Chancen hat, in die Playoffs zu kommen oder sich dort den Heimvorteil zu erarbeiten. Irgendwann willst du auch einmal um die Meisterschaft mitspielen oder auch europäisch, ultimativ vielleicht auch irgendwann in der EuroLeague, coachen. Diese Ambitionen habe nicht nur ich, sondern die haben viele Coaches und ich sehe mich auf Dauer nicht als jemand, der nur gegen den Abstieg kämpft und aus geringen Möglichkeiten viel rausholt und es mit seinem Staff zusammen schafft, da ein wettbewerbsfähiges Team hinzustellen, das vielleicht auch über die Verhältnisse hinaus Leistung bringt. Das war zwei Jahre lang klasse, aber eben auf Dauer auch nicht die Lösung. So ist dann zuerst einmal – noch während der Saison – die Einsicht gekommen, dass es nicht in Gießen weitergehen wird. Das war aber eine Entscheidung, die für sich allein stand und nicht eine für einen anderen Standort.

2017/18 auf der Couch?

Da die Entscheidung noch im Laufe der Saison kam, hatte ich natürlich auch Zeit, mich gemeinsam mit meinen Kids mit dieser Entscheidung auseinanderzusetzten und zu begreifen, was sie letztendlich bedeutet. Ich wusste zu dem Zeitpunkt, dass es wahrscheinlich keine Möglichkeit geben würde, bei einem anderen BBL-Club zu landen. Alle Türen waren zu und es gab auch keinen Grund zu überlegen, ob sich da vielleicht irgendetwas für mich auftut. Die Frage war also, ob sich woanders ein interessantes Projekt ergibt oder ob ich auf der Couch sitzend in die neue Saison gehe und darauf warte, dass irgendwo anders ein Trainer gefeuert wird. Das habe ich, um ehrlich zu sein, nicht gesehen. Zum einen ist es, glaube ich, schlechtes Karma zu Hause zu sitzen und darauf zu hoffen, dass irgendwo etwas frei wird, da das indirekt auch immer bedeutet, einem Kollegen sportlichen Misserfolg zu wünschen. Auf der anderen Seite ist es mit zwei Kids, die hier zur Schule gehen, auch schwierig mitten im Jahr plötzlich die Zelte abzubrechen und mit Sack und Pack über’s Wochenende loszuziehen ohne eine Schule besichtigt zu haben oder das sonst irgendwie vorzubereiten. Für mich als alleinerziehenden Vater wäre das nicht möglich gewesen, diesen verrückten Alltag zu stemmen. Diese Feuerwehrmann-Geschichte war also nichts für mich.

Das kann man sicherlich mal machen, aber die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass es sicherlich schwierig, wenn nicht gar fast unmöglich ist, in einer solchen Situation viele Spiele zu gewinnen, wenn du als Coach mitten in der Saison dazu kommst. Das hat Silvano Poropat, seines Zeichens zweimaliger Trainer des Jahres, in Bonn nicht geschafft. Das hat Dirk Bauermann, erwiesener Maßen ein Meister seines Fachs, in Würzburg nicht geschafft, bis sie am Ende der Saison vier Spiele gewonnen haben. Und auch Doug Spradley hat in Vechta nahezu keine Chance gehabt, dort Spiele zu gewinnen. Insofern ist dieses Unterfangen Feuerwehrmann schwierig. Das interessante daran sind natürlich die Anschlussverträge, die den Coaches winken, weil diese Mannschaften plötzlich unter Druck sind und diese Art Verträge anbieten müssen, damit überhaupt Qualität kommt. Und diese Kombination habe für mich auch nicht gesehen. In den letzten vier Jahren habe ich davon gelebt, zusammen mit meinem Staff eine Mannschaft zusammenzustellen, die Lust hat, die gierig ist, die Bock hat Leistung zu bringen und vielleicht auch die Möglichkeit hat, überzuperformen. Und im Sommer gewinnst du so schon das ein oder andere Spiel, wenn du die Mannschaft zusammenstellst und dann formst du sie über die gesamte Saison. Das ist ein langwieriger Prozess. Und während der Saison als Feuerwehrmann zu übernehmen hat nur eine relativ kleine Erfolgschance.

Der Kontakt zu Stephan Baeck kam dann schon relativ früh nach meiner Entscheidung, nicht in Gießen zu verlängern. Er hat vorgeschlagen, dass wir uns einmal treffen sollten um mir zu erzählen, was er mit dem Projekt vorhat. Vielleicht sei das etwas interessantes. Und wie bei den Gesprächen zuvor in Gießen war es auch hier so, dass sich die Entscheidung peu à peu entwickelt hat. Bei den Besuchen in Köln dachte ich immer öfter ‚Das ist interessant, was da geschaffen wurde.‘ Die Idee, möglichst bald aufzusteigen, idealerweise im nächsten Jahr, und das in einer Stadt wie Köln, einer Großstadt, mit der BBL vor der Tür … das finde ich spannend. Das ist ein Projekt, das zu mir passt, denke ich. Eine ähnlich große Herausforderung habe ich damals in Gießen auch sehr dankend angenommen. Dass man als Trainerneuling an mich geglaubt hat war eine große Möglichkeit für mich! Aber diese neue Herausforderung liegt in einer Stadt, einer Medienstadt, die auf ihre eigene Weise schwierig ist. Ich glaube an der Herausforderung kann man als Trainer wachsen und man kann dazulernen, ganz egal auf welchem Niveau. Die ProA kenne ich, das habe ich schon einmal zwei Jahre lang gemacht. Auch da kannst du erfolgreich arbeiten, dazulernen, besser werden, dich entwickeln. Und ich glaube, dass wir da im nächsten Jahr eine echte Chance haben. Ich traue dem Verein zu, dass wir um den Aufstieg mitspielen. Und ich würde gerne dabei helfen, Köln mal wieder im Basketball in die Bundesliga zu führen und an dieser Geschichte ein Bisschen mitzuschreiben.

Das Projekt ist auf der sportlichen Seite spannend, aber eben insbesondere auch für mich, als jemand der jahrelang in Leverkusen gespielt und rund um Köln eben auch zehn Jahre gewohnt hat und mit dem Basketball in der Gegend sehr verbunden ist, mit einer persönlichen Komponente versehen. Die Aussicht, in Zukunft ein Rhein-Derby gegen Bonn in der Lanxess-Arena spielen zu können, ist etwas sehr spannendes für mich. Dazu passt einfach auch die familiäre Situation, weil ich – ganz praktikabel – beispielsweise zwei Monate Zeit habe, den Umzug vorzubereiten.

Bei allen Ambitionen und Plänen – das Ding ist am Ende nicht 100%ig planbar, aber ich glaube natürlich auch an meine Stärke und sehe da die Möglichkeit, erfolgreich zu sein. Der Vertrag, den ich unterschrieben habe, ist erfolgsbasierend. Der lohnt sich dann, wenn es im ersten Jahr klappt und – gesetzt den Fall – dann eben entsprechend in den zwei Folgejahren in der BBL. Wenn ich eine sichere Kugel hätte schieben wollen, dann hätte ich die zwei Jahre in Gießen angenommen, wo ich deutlich mehr hätte verdienen können als in Köln, und hätte jetzt das weitergemacht, was ich bisher gemacht habe. Diese neue Aufgabe ist womöglich noch unberechenbarer oder noch weniger planbar als die vorherige Aufgabe, in Gießen nicht abzusteigen. Da hätten die Chancen gut gestanden, denke ich. Mit Köln wollte man auch in diesem Jahr schon aufsteigen und ist aufgrund vieler Faktoren nur achter geworden. Genauso wird unser Abschneiden in der kommenden Saison von einer Vielzahl von Faktoren abhängen, von denen wir auch nicht alle werden beeinflussen können. Das ist eine schwierige Aufgabe, die sich vor allem dadurch äußern wird, die richtigen Spieler zu finden, die so begeistert für dieses Projekt sind wie ich.

Sport ist nie zu 100% planbar.

In Gießen habe ich in Abstimmung mit den Assistant Coaches ja die Kaderplanung nahezu vier Jahre lang in Personalunion als Sportdirektor gemacht. In Köln wird sich daran nicht viel ändern, allerdings habe ich dort mit Stephan Baeck einen, der in den letzten Jahren unheimlich viel Herzblut, Energie und Zeit in das Projekt investiert hat, mit dem ich mich abstimme und mit dem ich gemeinsam versuche, die Mannschaft zusammenzustellen. Das Gefühl, Spaß daran zu haben, mit ihm zusammenzuarbeiten, habe ich bei den ersten Gesprächen sehr schnell bekommen. Die Ansichten, wie wir spielen wollen und wie wir erfolgreich spielen können, stimmen bei ihm und mir sehr häufig überein. Diese Aufgaben auf zwei Paar Schultern zu verteilen ist sicherlich von Vorteil. Dabei sage ich ganz klar: Das ist sein Projekt, das ist sein Baby. Und ich möchte dabei helfen. Das große Ziel ist es, im nächsten Jahr in der Lanxess Arena beim Duell gegen Bonn vor vierzehn- oder gar achtzehntausend Zuschauern zu spielen. Das ist der Gedanke im Hinterkopf, das ist der Traum. Jede Minute Arbeit, die wir in das Team stecken, basiert auf diesem Gedanken.

Fotos: Martin Vogel

Denis Wucherer
Vier dt. Meistertitel, zwei Pokalsiege, 123 Länderspiele und Silber mit der Nationalmannschaft bei der EM 2005 - kurz, Denis Wucherer hat im Basketball einiges gesehen und erlebt. Was er noch nicht erlebt hat, ist ein Projekt wie die Rheinstars Köln, weshalb er die Mannschaft ab 2017/18 als Cheftrainer betreuen wird.