Endlich!

Es muss doch weiter gehen! Es muss doch weitergehen! Weitsprung-DM Julian Howard über den Druck, 1458 Tage auf eine neue Bestleistung zu warten, über ein tiefes Tal und über acht Meter und fünfzehn, seine neue Bestweite.


Mich hat es einfach persönlich interessiert: wie lange habe ich denn jetzt auf meine persönliche Bestleistung gewartet? Die klassische Presse interessiert dann doch eher die Leistung bei der Deutschen Meisterschaft oder bei internationalen Einsätzen. Die Bestleistung ist eher für die Qualifikationen oder für einen selbst wichtig.

Von außen ist die in der Zeitung dargestellte Durststrecke dabei eigentlich gar nicht so stark an mich herangetragen worden, weil ich auch gar nicht so krass im Rampenlicht stehe. Das waren in den letzten Jahren eigentlich immer andere Jungs. Ich habe da, auch aufgrund der Verletzungen, immer eher in der zweiten Reihe rumgekrebst. Aber wer mich kennt, der weiß, wie ehrgeizig ich bin, auch wenn ich zuvor in wichtigen Momenten immer wieder dem Körper Tribut zollen musste oder auch einfach keine Leistung gebracht habe.

Den meisten Druck habe ich mir selbst gemacht!

Ich hatte allerdings immer den Eindruck, ich enttäusche mich selbst dadurch, dass ich mich nicht verbessere, obwohl ich so viel investiere. Hinzu kommt, dass es so viele Menschen um einen herum gibt, die einen unterstützen, ohne die das alles gar nicht möglich wäre. Wenn man dann nicht liefert, obwohl man deren Hilfe in Anspruch nimmt und selber so viel investiert, dann macht man sich selbst den meisten Druck, dass es doch jetzt weiter gehen muss. Und wenn man nicht liefert, dann macht man sich schon Vorwürfe, ob es gerechtfertigt ist, diese ganze Hilfe – sei es von den Trainern, den Physios oder gen finanziellen Unterstützern – in Anspruch zu nehmen. Da macht man sich als Athlet, glaube ich, den meisten Druck.

Für mich wirkte die Durststrecke gar nicht so langwierig, wie sie es letzten Endes war. Ich war tatsächlich selber ein bisschen überrascht, dass es so viele Tage seit meiner letzten Bestleistung waren. Aber es war trotzdem keine einfache Zeit. Ich habe ein bisschen von dem gelebt, von dem die Leichtathletik generell lebt, von Hoffnung – von dem Gefühl, dass man noch etwas erreichen kann bzw. dass man noch nicht am Ende ist. Das geht, denke ich jedem Athleten so. Und ich wusste, dass ich noch so viel Potenzial habe, dass es nicht unrealistisch ist, mich noch einmal zu verbessern. Zwischendurch hatte ich immer wieder Lichtblicke – Zubringerwerte im Training, keine offiziellen Ergebnisse, die in irgendwelchen Listen geführt werden, aber doch zumindest Fortschritte im Training. Ich wusste, dass ich wenn ich eine Saison verletzungsfrei bleibe, dass ich dann auch eine Bestleistung springen werde. Damit habe ich mich letztendlich über Wasser gehalten.

Gummibärchen statt Spikes

Besonders schwierig war dabei das Jahr 2016. Das war einfach desaströs für die Psyche. In dem Jahr hatte ich das Phänomen, dass ich nach meiner Verletzung wieder ins Training kommen wollte und nach dem ersten Einlaufen und Dehnen gemerkt habe, es geht einfach nicht. Ich habe einfach keinen Bock, keinen Antrieb. Also bin ich dann auch wieder heim gefahren. Deswegen war 2016 schon hart. Nach der Verletzung im April habe ich zunächst den Kopf in den Sand gesteckt und habe gedacht: ‚Olympia kannst du jetzt eh knicken!‘. Aber danach habe ich – nicht zuletzt wegen der großartigen Unterstützung aus dem medizinischen und aus dem Physio-Team – die Hoffnung eigentlich nicht aufgegeben. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, dass ich es hinkriege, wenn alles klappt. Dafür habe ich dann auch in der Uni alles gecancelt und habe mich voll auf die Reha konzentriert. Als ich dann kurz vor der Deutschen Meisterschaft testen musste, ob ich springen kann, habe ich wieder gemerkt, dass es überhaupt nicht funktioniert und ab dem Moment war ich eigentlich im Keller. Das war richtig heftig. Wenn man wirklich so oft Rückschläge hat, dann zweifelt man am großen Ganzen und überlegt, ob man so weitermachen möchte. Aber ich habe ein so tolles Umfeld in Karlsruhe gehabt, dass sich diese Gedanken nicht lange gehalten haben.

Mir war allerdings auch klar, dass ich es nicht auf Biegen und Brechen versuchen konnte. Ich musste mal raus, Abstand gewinnen. Daraufhin war ich dann auch einen Monat gar nicht auf dem Sportplatz, obwohl Sommer war. Ich war mental einfach fertig. Es war zwar hart, aber die Olympischen Spiele in Rio habe ich mir dann trotzdem am Fernseher gegeben, habe zu Hause richtig abgesuchtet. Es war nun einmal ein Traum von mir, dabei sein konnte ich nicht, und dann wollte ich mir das Highlight des Jahres zumindest nicht entgehen lassen und schauen, wie die anderen Athleten abschneiden. Für mich ging das leider nur mit Gummibärchen vor dem Fernseher als mit Spikes auf der Tartanbahn. Danach bin ich dann auch wieder ins Training eingestiegen, weil ich einfach wieder Sport machen musste, aber so leicht war das gar nicht.

Wendung auf Raten

Einen einzelnen Wendepunkt gab es nicht, ganz im Gegenteil. Eigentlich hat es erst wieder durch die normalen Trainingseinheiten mit meiner Trainingsgruppe geklappt. Da habe ich mich einfach von den anderen ein bisschen anstecken lassen. In so einer großen Gruppe gibt es immer irgendjemanden, der heiß ist. Ich habe mich treiben und von den Zielen und den Träumen der anderen ein bisschen tragen lassen. Ich habe mich einfach drangehängt und habe mich so durch die ersten harten Wochen des Trainingsrückstandes gequält. Ich habe den Kopf ausgeschaltet und einfach darauf vertraut, dass irgendwann der Spaß an der Sache auch wieder zurückkommen würde … und so war es am Ende dann auch. Ich habe mich also selbst mehr oder weniger in die Lage gezwungen, den Spaß am Sport wieder zu entwickeln.

Vorher habe ich einfach Trübsal geblasen und bin mit einer schlechten Stimmung und mit einer schlechten Haltung ins Training gegangen. Es war immer ein Müssen. Ich musste ins Training gehen, so hatte ich das Gefühl. Aber durch die vielen schönen Momente, die man als Gruppe immer erlebt, ist daraus immer mehr ein Wollen geworden. Ich wollte wieder ins Training gehen, wollte mich wieder mit den anderen messen, wollte wieder einfach Spaß an meinem Sport haben. Das ist das, was mich zurückgebracht hat! Und dann habe ich natürlich ungemein davon profitiert, dass ich zum ersten Mal während der kompletten Vorbereitung verletzungsfrei blieb und durchtrainieren konnte.

Im Januar diesen Jahres bin ich dann mit meinem Vater nach Jamaika geflogen und bin damit für drei Wochen wieder aus meinem Trainingsalltag ausgestiegen und konnte mein eigenes Ding machen. Für mich war es super, auch einfach noch einmal rauszukommen, auch wenn wir auf dem Trip jeden Morgen um halb sechs aufstehen mussten um uns dann eine Stunde lang durch den Stadtverkehr von Kingston zu quälen um die eigentliche Strecke von 20 Minuten zum Training zurückzulegen. Aufgrund der Hitze musste man aber einfach so früh trainieren. Das drei Wochen durchzuziehen war schon geil. In dem Moment habe ich realisiert, dass wenn mir der Sport so wichtig ist, dass ich das in meinem Urlaub eisenhart durchziehe, dann werde ich dafür am Ende auch belohnt. Mein Vater hat sich die Trainingseinheiten angeschaut, hat auf mich gewartet und so habe ich dann meinen Urlaub quasi gedrittelt: 1/3 Familie, 1/3 Rumreisen und 1/3 des Urlaubs wirklich vollkommen auf den Sport fokussiert. Und ab da lief es auch echt gut und ich bin in Karlsruhe beim Indoor Meeting direkt mit einer 7,97m eingestiegen. Das war der Start in eine gute Hallen- und eine richtig geile Freiluftsaison!

Julian Howard
"Die klassische Presse interessiert dann doch eher die Leistung bei der Deutschen Meisterschaft oder bei internationalen Einsätzen." Bereits mit diesem Satz war klar, Julian und seine Geschichte sind wie gemacht für die Wortathleten!